Die Umwelt und die Lebensbedingungen haben sich in den letzten Jahrzehnten signifikant verändert. Menschen leiden unter Stress durch Zeitmangel, Hektik, Lärm und Situationen im eigenen Umfeld, welche als Überforderung empfunden werden. Regelmässige Medienberichte zeigen Ursachen und Folgen von Stress auf, der sowohl im körperlichen als auch im seelischen Bereich spürbar ist.
Wie sich Stress auf Tiere, insbesondere auf Hunde auswirkt, wurde lange Zeit unterbewertet und gewinnt erst in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit.
Wie Stress entsteht, sich Symptomatiken zeigen und welche gesundheitlichen Folgen daraus entstehen, ist in der Humanmedizin bekannt. In der Folge der ersten Erkenntnissen wurden nun Forschungen ausgeweitet. So wurde festgestellt, dass auch Kinder bereits unter Stress resp. Überlastung leiden. Nicht nur die äusseren Umstände, wie Umfeld, Wohnsituation etc. sondern auch die veränderten Wertvorstellungen tragen dazu bei. Die Ansprüche in der Schule sind höher geworden und verur-
sachen oft unbewusst Druck. Gravierend ist jedoch, dass die Haltung in die Freizeit übernommen wird und hier oft statt Erholung noch zusätzlich Ansprüche gestellt oder durch das Werte-Empfinden gestellt werden.
Sind Hunde gegen Stress immun?
Wann reagiert ein Hund auf Stress und wie äusserst sich das?
Auf welche Symptome ist zu achten und wie können Sie als Hundehalter entsprechend dagegen handeln?
Martina Nagel und Clarissa von Rheinhardt haben im Buch „Stress bei Hunden“ diese Problematik aufgegriffen. Die Autorinnen kamen dabei zum Schluss, dass gesundheitliche Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden oft durch Stress entstehen.
Diese Tatsache erstaunt eigentlich nicht grossartig, denn schliesslich leben Mensch und Hund sehr eng zusammen. Die Vielfältigkeit der Stressauslöser und der Reaktionen sind bei Mensch und Hund gross und oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es beweist einmal mehr, dass in der Hundehaltung gute Kenntnisse über das Lebewesen Hund und seine sozialen Anforderungen, ein gute Beobachtungsgabe und Verständnis für Zusammenhänge erforderlich sind. Eine falsche Reaktion in Stress-Situationen kann längerfristig fatale Folgen haben und die Lage verschärfen, anstatt sie zu entspannen.
Wie reagiert der Körper auf Stress?
Sind Veränderungen notwendig?
Stress versetzt den Körper in Alarm-
zustand und setzt somit entsprechende Stresshormone frei. In gewissen Situati-
onen sind diese absolut sinnvoll. Sie dienen dazu, möglichst viel Energie zu Flucht oder Kampf freizusetzen. Wenn dieser Zustand – ohne Erholungsphase – zu lange anhält oder die erwähnten Stresshormone nicht durch eine entsprechende Handlung abgebaut werden können, treten gesundheitliche oder psychische Folgen auf.
Zu unterscheiden ist hier zwischen sogenanntem positivem und negativem Stress: Eustress/Distress.
Positiver Stress fördert die Reaktions-
bereitschaft und das Leistungsvermögen durch eine gesteigerte Energieversorgung des Körpers. Lang anhaltender, starker, negativer Stress, der nicht abgebaut werden kann, verursacht dagegen Erkran-
kungen und Verhaltensveränderungen.
Die Reaktion auf Stressfaktoren ist von Lebewesen zu Lebewesen unterschied-
lich. Vertragen die einen relativ viel Stress, reagieren andere auf dieselbe Situation sehr sensibel (was z.T. auch mit einem aus der Ballance geratenen Stoffwechsel zusammen hängt). Gerade deshalb ist es wichtig, beim Hund auf die feinsten Reaktionen zu achten und diese frühzeitig richtig zu interpretieren. Auch hier lassen sich Zusammenhänge zwischen Mensch und Tier feststellen. Es muss nicht immer ein markantes Erlebnis sein, welches Stress auslöst. Ein dauerhaft anhaltendes Unbehagen kann weitaus grössere Folgen haben.
Stress-Symptome
Nervosität, Ruhelosigkeit, Anknabbern von Gegenständen im Haus und Überreaktionen können Anzeichen von Stress sein – aber auch das Absetzen von Kot und Urin, vor allem dann, wenn ein Hund regelmässig in derselben Situation Durchfall hat, z.B. Ausstellung, Prüfung, auf Reisen etc. Dauerbellen ständiges Winseln oder Jaulen, das Zerstören von Gegenständen aber auch übertriebene Körperpflege bis hin zum Wundlecken oder Allergien können Anzeichen einer Überforderung sein. Diese Liste lässt sich beliebig lang weiterführen und enthält weitere Verhaltens- oder Gesundheits-
störungen. Erst wenn der Hundehalter durch genaue Beobachtung des Hundes herausfindet, in welchen Situationen diese Anzeichen regelmässig auftreten, kann Abhilfe und damit Entlastung des Tieres geschaffen werden.
Überforderung
Stress ist immer verbunden mit einer Überforderung entweder in einem speziellen Bereich oder im Allgemeinen. Überforderung ist nicht das Privileg des erfolgreichen Sporthundes. Auch ein Familienhund kann total überfordert sein, obwohl sein Halter eigentlich nur ein abwechslungsreiches Hundeleben bieten möchte. Die Ursache liegt oftmals darin, dass dem Hund keine geeignete Rück-
zugsmöglichkeit angeboten wird und er sich dadurch von den verschiedensten Anforderungen nicht genügend Erholung verschaffen kann. Jede an sich vernünf-
tige Beschäftigung mit dem Hund kann zur Stressbelastung werden, wenn sie grenzenlos betrieben wird. Wird im Erziehungskurs oder beim Sporttraining die Grenze der Leistungsfähigkeit des Hundes ständig überschritten, entsteht Stress. Findet der Hund im Haus keine Ruhe, weil von morgens früh bis abends spät Aktivitäten irgendwelcher Art (auch Kinder, die ständig herumtollen) das grosse Schlaf- und Ruhebedürfnis des Hundes unmöglich machen, tritt derselbe Effekt auf. Hat der Hund jeden Tag mit seinem Herrchen ein besonderes Programm zu absolvieren, kann auch dies zu Stress führen. Vielfach wird in diesen Fällen das Ruhebedürfnis von Hunden unterschätzt oder ist dem Halter nicht bekannt. Nach jeder Stress-Situation muss das Tier wieder zur Ruhe kommen können und es ist Voraussetzung, dass der Halter weiss, WIE sein Hund Ruhe findet.
Was bringt Hilfe?
Als Grundlage zu ihrem Buch haben die Autorinnen eine Umfrage ausgewertet, welche Denkanstösse und Erkenntnisse liefert. In dieser Umfrage hat die Gruppe der Gebrauchshunde die höchste Stress-
belastung gezeigt. Die Ursache dafür könne aber nicht allein darin liegen, dass Hundsport ausgeübt werde, denn dies habe nicht unbedingt Einfluss auf den Stresslevel. Es komme im Wesentlichen darauf an, wie und wie oft trainiert werde, halten die Autorinnen fest. Eine Ursache könne sein, dass die Gebrauchshunde-
rassen über eine niedrigere Reizschwelle verfügen, als andere Rassen und dies zu Stress führen könne, da der Hund häufig überreagiert. Interessant sind die Ergeb-
nisse für die Zeit, welche der Hund allein bleiben muss.
- Hier zeigten die Hunde, welche regel-
mässig 4-5 Stunden alleine bleiben müssen, die niedrigsten Stresswerte. - Die höchsten Werte traten bei den Hunden auf, die täglich 6 Stunden und mehr alleine bleiben müssen.
- Erstaunlicherweise zeigten Hunde, die täglich mehr als drei Stunden spazieren gehen, höhere Stresswerte, als jene Artgenossen, die täglich zwei Stunden unterwegs sind.
- Hunde, die in einer oder zwei Hunde-
sportarten trainiert werden, hatten niedrigere Stresswerte, als Tiere, die gar keine oder mehr als drei Hundsportarten trainieren. - Bei Hunden, die täglich weniger als 17 Stunden schlafen oder ruhen, wurden deutlich höhere Stresswerte fest-
gestellt, als im Gesamtdurchschnitt.
„Aus diesem Grund muss der Hunde-
halter darauf achten, dass nach Tagen vermehrter Aktivität für den Hund, Tage mit ausgiebiger Ruhepausen folgen“, stellen die Autorinnen fest.
Mensch und Hund
Die Mensch-Hund-Beziehung hat eben-
falls eine grosse Bedeutung. Das sensible Rudeltier Hund spürt die Gemütsverfassung des Menschen deutlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass wir von dieser Art Wahrnehmung sehr wenig Ahnung haben, da wir dem Hund hier eindeutig unterlegen sind. Wenn wir uns vorstellen, was es langfristig für uns bedeutet, täglich stundenlang mit einem hochgradig nervösen und gestressten Menschen in unmittelbarer Nähe zu verbringen, lässt sich dies vielleicht annähernd nach-
empfinden. Wer also selbst in einer dauerhaften Stress-Situation lebt, kann kaum annehmen, dass sein Hund dies als entspannend empfindet (…)
Welche Rasse in welches Umfeld
Ein weiterer Faktor, der bereits hinläng-
lich bekannt sein sollte, kommt auch in diesem Zusammenhang einmal mehr zur Sprache; Oft wählt der Halter seinen Hund nach rein optischen Gesichtspunk-
ten aus und stimmt seine Anforderungen sowie das, was er dem Hund anbieten kann, nicht auf die natürliche Veranla-
gung der Rasse ab. Ein Jagdhund aus einer Hochleistungszucht ist in einer Stadtwohnung mit einem stark berufs-
tätigen Herrchen genau so überfordert, wie ein Bordercollie als reiner Familien-
hund mit dem man lediglich spazieren geht.
Mit Sicherheit ist die Hundehaltung den veränderten Lebensgewohnheiten anzupassen und wird auch in Zukunft ständigen Veränderungen unterworfen sein. Es braucht nicht viel Fantasie, um zum Schluss zu kommen, dass ein Hund heute nicht mehr so gehalten werden kann, wie vor zwei Jahrzehnten. Dazu gehört, seinem Tier die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken und auch die Erkenntnisse über das Lebewesen Hund, die laufend aktualisiert werden, im täglichen Zusammenleben umzusetzen.
Quelle: Buch „Stress bei Hunden“
von Martina Nagel und Clarissa von Rheinhardt